Mein Bekannter, den ich in den Tee-Olymp zu Cha Ginza geschleppt hatte, wusste sich zu revanchieren. „Cha Ginza ist eine interessante Begegnung von altem und neuem Japan. Ich werde Ihnen ein anderes, höchst interessantes Zusammentreffen von Alt und Neu in Tokio zeigen“, kündigte er an. Wir hatten gerade in einem winzigen Fischrestaurant in Nakano zu Abend gegessen, einem Stadtteil, der auf der JR-Chuo-Linie ein paar Stationen hinter Shinjuku liegt. Den Weg zu jener Bar, in die mein Bekannter mich dann führte, werde ich ganz bestimmt alleine nicht wieder finden. Nakanos Gastronomieviertel mag zwar nicht so groß sein wie Kabukichou in Shinjuku, aber in den kleinen Gassen dort kann man sich durchaus ebenfalls verirren. Zumal die Bar, in die wir gingen, etwas abseits der eigentlichen Kneipenmeilen in einer Hinterhofsituation liegt, in irgendeinem dritten Stock von irgendeinem unauffälligen Haus. Dass man an einem ungewöhnlichen Ort angelangt ist, merkt man erst, wenn man drin ist: Wände und Decke der winzigen, kaum beleuchteten Bar eine einzige Buddha-Kollage, hinter dem Tresen steht ein Mann in einem Outfit, wie sie auch die Mönche im Tempel bei der Arbeit (Samu) tragen. Doch was aussieht, wie ein Gag, ist keiner: Der Herr, der da die Cocktails mixt, ist tatsächlich ein Mönch, und die winzige Bar, in der gerade ein paar Endzwanziger trinken, lachen und rauchen, ist tatsächlich eine Art Tempel-Außenstelle.

Sie heißt „Vow’s Bar“. „Vow’s“, das englische Wort für „Gelübde“, klingt im Japanischen, ein bisschen wie „Bozu“, oder „Bonze“ – das Wort für buddhistische Würdenträger. Es ist ein Einmannbetrieb, und sein Betreiber hat eine bunte und aufregende Lebensgeschichte. Der Mann nennt sich Schakugenkou, ist Mitte 50, arbeitete als erfolgreicher Geschäftsmann, stieg aus, ging nach Paris, studierte, auch Soziologie, auch bei Foucault, kam nach Japan zurück, wandte sich der Jodou-Shinshuu-Schule des Buddhismus zu und wurde Mönch. Die Bar hat er gegründet, um die jungen Leute in ihrer Welt abzuholen. Er missioniert sie nicht, er bedient sie und mixt ihnen coole Drink-Kreationen, aber wenn er mit ihnen ins Gespräch kommt und es sich anbietet, erzählt er ihnen vom Weg Buddhas, der nun seit vielen Jahren auch sein Weg ist. Es ist nicht die erste Mönchsbar Tokios, aber wahrscheinlich die kleinste und intimste. Bekehrung nicht ausgeschlossen.

Die Bar hat jeden Tag bis vier Uhr geöffnet. „Aber ich fühle mich nie müde“, sagt Schakugenkou. Das nehme ich ihm ab. Mein Begleiter und ich dagegen sind ziemlich geschafft, als wir uns gegen halb zwei verabschieden. Der Bonze mit dem Cocktailshaker winkt freundlich und wirkt, als wäre er gerade aufgestanden.

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